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Ob wir als Individuen oder als Spezies unsere Probleme lösen werden, hängt entscheidend von unserem Bewusstsein ab. Daher halte ich es für eine gute Idee, das Bewusstsein zum Gegenstand eigener Betrachtung zu machen. Das kann sehr inspirativ sein, das Denken beflügeln und inneres Wachstum fördern. Ein tieferes Verständnis psycho-spiritueller Zusammenhänge erhöht unsere Fähigkeit, neue Perspektiven einzunehmen, kontraproduktive Konditionierungen zu durchschauen, authentischer zu werden. Ich lasse mich gerne von integralen Vordenkern wie Ken Wilber, Don Beck und spirituellen Lehrern wie Andrew Cohen oder Eckhart Tolle inspirieren und habe eine Reihe von Aufsätzen verfasst, die sich mit entsprechenden Gedanken befassen. Bis auf weiteres veröffentliche ich auf dieser Seite jeweils einen dieser Aufsätze und wünsche viel Spass beim Lesen. |
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Transformation Immer wenn Hindernisse auftauchen und sich die
Schwierigkeiten häufen, sollten wir hellhörig werden. Gerade wenn die Dinge
nicht gut laufen, haben wir gute Chancen, diejenigen Felder der
Bewusstseinsentwicklung zu erkennen, die dringend bearbeitet werden müssen. Doch der Mensch in der heutigen Zeit argumentiert, kaum
über genügend freie Ressourcen und ausreichend Muße zu verfügen, eigene
Verhaltensweisen objektiv zu betrachten und deren Wirkung auf sich und andere
zu untersuchen. Wie oft muss das Kind in den Brunnen fallen, bevor es bereit
ist, sein ungestümes Temperament zu zügeln? Doch Selbsterkenntnis alleine
schafft kein einziges Hindernis aus dem Weg. Ob sich nach einer tiefen
Erkenntnis die Dinge im Sinne einer Transformation verändern, hängt vom
ernsthaften Wollen ab, von Taten und Fakten. Es reicht nicht, zustimmend zu
nicken, wenn beispielsweise vom Energiefresser Fernsehen oder anderen
Ablenkungen die Rede ist. Es geht darum, tatsächlich etwas zu verändern – etwa
stattdessen ein gutes Buch in die Hand zu nehmen, zu musizieren, Kommunikation
mit anderen zupflegen, sich sozial zu engagieren usw. Ein Energiefresser ersten
Ranges ist zweifellos die dauernde Beschäftigung mit der Vergangenheit in
unseren Köpfen. Stattdessen könnten wir versuchen, ins Jetzt einzutauchen –
beispielsweise bei jeder Arbeit, in die wir uns hingebungsvoll vertiefen – und
Energie direkt aus der Quelle schöpfen. Erkenntnisse dieser Art gewinnt man
leicht. Doch wo bleibt der Wille zur Veränderung? Woher bekommen wir den Kick,
die eigene Trägheit zu überwinden und gegen jene alten, kontraproduktiven
Systeme anzurennen, die auf ihrer Existenz beharren und eine notwendige
Weiterentwicklung behindern? Pessimisten behaupten, dass erst eine Katastrophe
eintreten muss, die den Menschen in seinen Grundfesten erschüttert, bevor er
willens ist, etwas zu verändern. Sie sehen keine andere Möglichkeit, einen
Menschen zu einer Veränderung zu bewegen, als das Messer an der Kehle. Zyniker
weisen sarkastisch auf die schönen Vorsätze in der Vergangenheit, die so
mancher von uns - nach einer Erkenntnis, die man als zutiefst richtig empfand –
fasste und konstatieren, dass man bisher bei den ersten ernsthafteren Symptomen
von Müdigkeit, Langeweile und Überdruss kapitulierte, alles relativierte und
sich wieder mit dem alten Trott zu identifizierte. Wer will sich schon
freiwillig mit Unlust konfrontieren? Bei Kopfschmerzen, fragt man kaum nach den
tieferen Ursachen, sondern nimmt automatisch eine Schmerztablette. Und
angesichts seelischer Schmerzen des Patienten, wird ein Psychotherapeut kaum
sagen: „Na prima, dass es Ihnen schlecht geht. Seien Sie ruhig mal richtig
unzufrieden mit sich selbst. Lassen Sie den Stachel im Fleisch nur ordentlich
pieksen. Dann kommen Sie am ehesten darauf, dass es an der Zeit ist, ein paar
grundlegende Dinge zu ändern“. Doch statt auf die Notwendigkeit einer gewissen
Härte und Disziplin hinzuweisen, ohne die keine nachhaltige Veränderung
erreicht werden kann, wird manche Helferperson eher das Ego des Patienten stabilisieren,
Streicheleinheiten spenden und ihn bestenfalls dazu ermuntern, ein paar
kosmetische Korrekturen vorzunehmen. Religion und Transformation Was unser Leben oft so unerträglich macht, ist das Gefühl,
von der Quelle des ewigen Selbst abgeschnitten zu sein. In solchen
schmerzhaften Phasen können wir nicht erkennen, dass es sich nur um eine
scheinbare Trennung des konstruierten, zusammengesetzten Ich und der tieferen
Wirklichkeit handelt. Religion hat nun die wichtige Funktion, dem getrennten Ich
zu helfen, einen Sinn in den grausamen Schicksalsschlägen zu finden, die
allerorten geschehen und die als nächstes uns selbst treffen könnten. Religion
hilft uns, das unermessliche Drama und die fürchterlichen Tragödien des Lebens
überhaupt zu ertragen. Religion ist eine Sinnstifterin ersten Ranges. Sie
beseitigt zwar nicht den Zustand der Trennung und sorgt auch nicht für eine
Vereinigung mit dem innersten bzw. höchsten Selbst. Dafür bietet sie jedoch
Mythen und Geschichten, Legenden und Rituale, die den Menschen trösten, die
sein getrenntes Ich wieder aufbauen, es verteidigen und fördern. Die gängigen religiösen Überzeugungen laufen darauf
hinaus, dass der Mensch errettet wird, wenn er nur inbrünstig genug betet, an
die Mythen glaubt oder sich dem Dogma der jeweiligen Religion unterwirft.
Verhält er sich in diesem Sinne richtig, dann wird er durch den gnädigen Gott,
entweder sofort oder - in Gottes Namen – später, im Jenseits, errettet. Doch neben dieser konventionellen Stärkung des Ich, hatte
und hat Religion – zumindest für eine kleine Minderheit – die Funktion der
Transformation und Befreiung. Hier geht es nicht um den Aufbau und den Erhalt
eines Ich oder Ego, sondern um seine Zerstörung. Im Prozess der Transformation, der im tiefsten Innern des
Bewusstseins stattfindet, wird der Egoismus, die Ich-Zentriertheit, schlichtweg
eliminiert. Menschen, die eine authentische Transformation anstreben, geht es
nicht um Sicherheit oder Trost. Sie zerschmettern, wie Gurdjew so treffend
formulierte, ihre Ideale am Felsen der Wahrheit. Ken Wilber beschreibt die erste Funktion der Religion, die
Schaffung von Sinn und Bedeutung für das isolierte Ich, als eine Art
horizontaler Bewegung. Den Vorgang, der hier stattfindet, bezeichnet er mit
„Übersetzung“ bzw. „Translation“. Betrachten wir uns die Religion im Kontext der
Entwicklungsspirale, stellen wir fest, dass sich auf jeder Entwicklungsebene
entsprechende Formen von Religion finden. Die Anschauungen werden jeweils in
die entsprechende Sprache übersetzt. Schließlich denkt jeder in den Worten
seiner Muttersprache. Wenn sich ein Mensch neu orientiert und sich in eine
höhere Bewusstseinsebene hineinentwickelt, lernt er in der Regel eine Menge
neuer Vokabeln, Begrifflichkeiten, Kontexte. Während er das neue Wissen und all
die neuen Vokabeln in sein System integriert, findet der Vorgang der
Übersetzung statt und hält so lange an, bis die neue Sprache fließend
gesprochen und gedacht wird. Bei der Übersetzung erhält das Ich einfach eine
neue Art, im Hinblick auf die Realität zu denken oder zu fühlen. Es erhält
einen neuen Glauben und lernt, seine Welt und seine Existenz im Sinne des neuen
Glaubens oder Paradigmas zu übersetzen. Die Entwicklung geht dabei in die
horizontale Richtung, in der lediglich Objekte angeeignet und dem Ego einverleibt
werden. Bei der „Translation“ handelt es sich um die mit Abstand verbreitetste,
vorherrschende und am häufigsten praktizierte Funktion der Religion. Wilber
spricht zwar in diesem Zusammenhang nicht vom „Opium für’s Volk“. Er kritisiert
jedoch, dass Religion auf der horizontalen Ebene den Menschen zumindest
zeitweise in seinem Verlangen glücklich- und in seiner Versklavung zufrieden
macht. Das Ich wird selbstgefällig und bildet sich ein, dass die „mit Morphium
angereicherte Landkarte“, mit deren Hilfe er sich in der Welt zurechtfinden
soll, identisch ist mit dem realen Gelände. Auf der horizontalen Ebene spielt
die Verdrängung der Angst vor Veränderung eine große Rolle. Tatsächlich lebt
das kleine, fragile Ich oder Ego in großer Angst vor jener Unsicherheit, die
durch Veränderungen hervorgerufen wird, und ist fortwährend bestrebt, die
Illusion von Beständigkeit in einer Welt zu kreieren, in der sich alles ständig
ändert - heute schneller denn je. Bei der zweiten Funktion der Religion, nämlich der Transformation,
findet dagegen eine vertikale Bewegung statt, die zu einem Mehr an Tiefe bzw.
Höhe führt. Während das Ich als Subjekt bei der Übersetzung einfach
eine neue Art und Weise erhält, über die Welt und die Objekte zu denken, wird
bei der Transformation der Prozess der Übersetzung selbst herausgefordert. Der Wunsch nach Transformation wird nicht selten durch
Enttäuschung geweckt. Wieso füllt mir der allmächtige Gott – trotz meiner
dringlichen Gebete – nicht die Taschen mit Geld? Wieso bringt er die Terroristen
nicht dazu, ihre wehrlosen, unschuldigen Opfer freizulassen und lässt ein
schreckliches Blutbad geschehen, obwohl unzählige gläubige Menschen inbrünstig
beteten? Wie konnte ein Gott der Liebe den Holocaust zulassen, und wie kann er
tatenlos zusehen, wenn heute täglich tausende Kinder verhungern? Gleichzeitig
erwischt man sich dabei, dass man Gott um Glück, Gesundheit, Erfolg und ein
langes Leben für sich selbst bittet, und es fällt zunehmend auf, dass es sich
dabei um egozentrische Bittgebete handelt. Bis zu einem generellen Hinterfragen
– vor allem der Bitten für die eigene Person und entsprechender Rituale - ist
es dann oft nur noch ein kleiner Schritt. Die berühmte Hollywood Schauspielerin Audrey Hepburn wurde
von einem unheilbaren Krebsleiden heimgesucht, das schließlich zu ihrem Tod
führte. Doch anstatt sich verzweifelt an ihr Leben zu klammern und an Gott die
Frage zu richten: „warum ausgerechnet ich?“, zuckte sie lediglich die Achseln
und meinte: „warum nicht ich?“ Bei dem Prozess der Transformation wird das Ich als
solches erforscht und mit zunehmender Härte geprüft. Man ist es leid, sich
selbst etwas vorzumachen und möchte der ungeschminkten Wirklichkeit ins Gesicht
sehen. Authentische Transformation ist keine Frage des Glaubens. Hier geht es
vielmehr dem Glaubenden als solches an die Gurgel. Es geht nicht mehr darum,
Trost zu finden oder eine Versicherungspolice für ein schönes Leben nach dem
Tode zu erwerben. Es geht auch nicht um „Valium“, „Morphium“ oder „Opium“,
sondern darum, das Sicherheitsdenken aufzugeben, den Widerstand gegen die
Tatsache, dass sich alles ständig verändert und die Tatsache ständiger
Veränderung bereitwillig anzunehmen. Um uns dynamisch und engagiert mit allem,
was wir in uns haben, dem Prozess des Lebens zur Verfügung zu stellen, ist es
notwendig, die egozentrischen Anteile zu überdenken, loszulassen und am Ende
das Ego selbst zu demontieren. |
